Essen. Viele ältere Essener haben wenig Rente und gehen arbeiten: als Schreibkraft, Statist, Leihoma. Aber: Nicht jeder arbeitende Rentner braucht Geld.
Immer mehr Essener und Essenerinnen im Rentenalter gehen (wieder) arbeiten: Sie wünschen sich Abwechslung, Tagesstruktur, Bestätigung. Oder sie sind alt und brauchen das Geld. Der Verein „Mäuse für Ältere“ hat den Trend früh erkannt und berät seit 2014 arbeitswillige Senioren. „Jetzt steigt der Beratungsbedarf so sehr, dass wir das nicht mehr allein stemmen können“, sagen die Vereinsvorsitzenden Cornelia Sperling und Wolfgang Nötzold. Die Stadt sei gefragt.
Die 73-Jährige und ihr vier Jahre älterer Co-Vorsitzender gründeten die Initiative vor bald zehn Jahren auch aus eigener Betroffenheit: Beide hatten je eine Rente von unter 1000 Euro, die zum Leben reichte, doch zu Abstrichen zwang. Obwohl ihre Renten inzwischen gestiegen sind, gilt das im Prinzip bis heute. „Es ist nicht genug Geld, insofern ist die Arbeit ein Muss – aber verbunden mit der Suche, etwas Sinnvolles zu tun“, sagt Cornelia Sperling.
Mancher kommt mit 1000 Euro im Monat klar, andere nicht mit dem Doppelten
Die Kernfrage, die sich jeder stellen sollte, laute: Wie will ich mein Alter gestalten? Früher sei älteren Menschen gern geraten worden, sich um Enkel oder Ehrenamt zu kümmern. Heute gebe es, begünstigt durch den Fachkräftemangel, vielfältigere Möglichkeiten. Ob man arbeiten müsse, werde dabei unterschiedlich beantwortet, sagt Nötzold. „Dem einen reichen 1000 Euro Rente im Monat, der andere braucht das Doppelte.“
Bei den mehreren Hundert Menschen, die der Verein mittlerweile beraten hat, gehe es oft nicht allein ums Geld: „Meist ist es eine Mischung. Die Leute suchen auch Kontakte oder haben noch Lust auf ihren Beruf.“ Sie machen zu ihren Konditionen weiter, zu Wunscharbeitszeiten – und nur so lange es passt. Eine Rentnerin stellte schnell fest, dass ihr der Frühstücksservice im Hotel zu anstrengend war, der frühere Studienrat fährt dagegen mit Freude Medikamente aus: So komme er unter Menschen.
Auf seiner Homepage betreibt „Mäuse für Ältere“ eine digitale Jobbörse, auf der Angebote eingepflegt werden, die der Verein etwa in Anzeigen findet. Auch melden sich immer mehr Firmen, die über die Börse Inventurhelfer für zwei Tage, Aushilfen zum Geschenke verpacken für vier Wochen oder Fischverkäufer für den Markt am Samstag suchen. Privatleute wünschen jemanden, der beim Schreinern an der Gartenlaube hilft, Spaziergänge mit einer betagten Dame macht oder als „Leihoma“ einspringt. Mitunter melden sich ein Dutzend Interessenten auf ein Stellenangebot.
Rentner arbeiten als Spielhallenaufsicht, Schreibkraft, Bestattungshelfer oder Leihoma
Im Laufe der Jahre habe man Tausende Angebote veröffentlicht, ein Teil davon auch für Bochum und Dortmund. Die rund 900 Jobbörse-Abonnenten werden informiert, sobald ein neues Angebot reinkommt. „Wir können gar nicht jede Putzstelle, jeden Fahrer- oder Hausmeisterjob einstellen“, sagt Nötzold. Grundsätzlich gehe es nicht um Vollzeitstellen, sondern um Teilzeit, befristete Einsätze oder um Minijobs, mit denen man monatlich 520 Euro steuerfrei verdienen kann.
Info-Abend zum Arbeiten im Alter in der Volkshochschule
„Arbeiten neben der Rente – wie geht das?“ ist eine kostenlose Veranstaltung am Donnerstag, 9. November, von 18 bis 20 Uhr im Großen Saal der Volkshochschule Essen (VHS) am Burgplatz überschrieben. Anmeldung möglich unter: www.vhs-essen.de (Kursnummer 232.1D148K)
Seit 2014 berät die Initiative „Mäuse für Ältere“ Menschen im Rentenalter, die bezahlter Arbeit nachgehen möchten. Zu der Veranstaltung hat der Verein die Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Kardys von der FOM Hochschule Essen eingeladen. Sie stellt Forschungsergebnisse zur Entwicklung von Intelligenz und Arbeitsvermögen im Alter vor. Danach geben Vereinsmitglieder Auskünfte zu Rente und Erwerbstätigkeit, Zuverdienst, Selbstständigkeit etc. Infos unter: www.mäusefürältere.de
Ob man sich als Bestattungshelferin, Weihnachtsmarktverkäufer, Spielhallenaufsicht oder Schreibkraft bewirbt, hat mit Vorkenntnissen, Temperament und Belastbarkeit zu tun. Ob man die Stelle bekommt, hängt auch von der Offenheit der Arbeitgeber ab, erklärt Cornelia Sperling. Manche seien so lange interessiert, bis sie hören, wie alt der Bewerber ist. „Es gibt immer noch Altersdiskriminierung, 70 Jahre ist so eine magische Grenze.“
Immer mehr ältere Essener sind auf Grundsicherung angewiesen
Nach und nach setze ein Umdenken ein: „Als wir anfingen, war das gesellschaftliche Klima eher noch so: ,Du Arme musst noch arbeiten.’ Heute ist es eher normal.“ Womöglich hat der Verein zur Normalisierung beigetragen. Und der Gesetzgeber: „Seit 2023 gibt es keine Beschränkung des Zuverdiensts mehr für diejenigen, die vorzeitig in Rente gehen.“ Solche Informationen können Nötzold und Sperling ratsuchenden Rentnern mit auf den Weg geben. Benötigt jemand detailliertere Auskünfte verweisen sie an die Beratung der Rentenversicherung.
In den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgängen in Rente, die für viele nicht reiche, zumal die Lebenshaltungskosten steigen. Schon jetzt seien gut 8000 Essener Rentner auf Grundsicherung angewiesen; vor zwei Jahren seien es noch 2000 weniger gewesen, sagt Cornelia Sperling.
Die Mitglieder des Vereins bieten regelmäßig Beratung an, etwa in den Zentren 60plus in den Stadtteilen. Bei gut 127.000 Essenern über 65 Jahre – fast 22 Prozent der Einwohner – müsse sich auch die Stadt etwas einfallen lassen, Strukturen schaffen, fordern Nötzold und Sperling. Im Frühjahr 2024 planen sie dazu eine Veranstaltung mit Vertretern von Stadt, Agentur für Arbeit und Seniorenrat.
Mit 77 Jahren immer noch im Arbeitsleben
An diesem Donnerstag (9. November) laden sie Ältere und Alte zu einer Infoveranstaltung in die VHS. Die Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Kardys wird dort auch über das Arbeitsvermögen im Alter sprechen. Das ist eins der Themen, das auch beim Gesprächskreis des Vereins immer wieder anklingt: Was tun, wenn man schwächer wird? Wann ist Zeit aufzuhören?
Sperling und Nötzold könnten heute eine gute Pension genießen: Beide waren Lehrer, gaben Beruf und Verbeamtung früh auf. Sie fand ihre Berufung als Projektentwicklerin, arbeitet bis heute in dem Bereich. Der 77-Jährige hat eine bunte Erwerbsbiografie, lektoriert Texte, ist weiter offen für Neues. Als das Aalto-Theater über die Jobbörse Beleuchtungsstatisten suchte, wurde er neugierig auf den ungewöhnlichen Job. Wird ein Stück neu eingerichtet, vertreten die Statisten bei den Beleuchtungsproben die Schauspieler. Nebenbei bekomme man viel von der Theaterarbeit mit, schwärmt Nötzold. Er ist jetzt seit einem Jahr dabei.
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